BENITA QUADFLIEG STIFTUNG - ELTERNARBEIT


Stärkung der Eltern-Kind-Bindung mit STEEP 

 

Ein Erfahrungsbericht aus dem Kinderhaus Mignon von Brigitte Bayer (STEEP Beraterin)

Das Hamburger Haus Mignon fördert seit über 30 Jahren Kinder, die behindert oder in ihrer Entwicklung gefährdet sind. Zu dieser Einrichtung gehört das Kinderhaus Mignon. Hier leben Kinder und Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zuhause leben können. Im Kinderhaus Mignon finden sie feste Strukturen und eine verlässliche Betreuung vor. Hier können sie zur Ruhe kommen und sich soweit stabilisieren, dass ihnen eine gesunde Entwicklung wieder möglich ist.

 

Dabei bleibt der Kontakt zur Ursprungsfamilie nach Möglichkeit bestehen. Meine Aufgabe ist es, die Besuche der Eltern zu begleiten und dabei mit dem Handwerkszeug der STEEP-Beratung die Eltern-Kind-Bindung zu verbessern. Hierbei handelt es sich um ein Frühinterventionsprogramm, das ursprünglich in den USA entwickelt wurde und auf den Kenntnissen der Bindungsforschung basiert. STEEP ist eine Abkürzung von „steps toward effective, enjoyable parenting“ und bedeutet übersetzt ,,Schritte zu einer gelingenden, Freude bereitenden  Elternschaft“.

 

Anfangs war ich mehr als skeptisch bei dieser auf den ersten Blick doch unmöglichen Aufgabe. Wie kann man Eltern Freude vermitteln im Umgang mit ihren Kindern, die man nicht mehr bei ihnen lassen kann, um das Kindeswohl nicht zu gefährden?

 

Diese Eltern gehören aufgrund ihrer belastenden Biographie  einer Risikogruppe an. Ihr schwieriges Temperament, eine eingeschränkte Wahrnehmung, psychische Störungen oder ein übermäßiger Drogenkonsum mit der daraus resultierenden Suchtstruktur schränken die positive Interaktion zum eigenen Kind in der Regel ein oder verhindern sie gänzlich. Durch die Aufnahme im Kinderhaus erhält das Kind nun bessere Lebensbedingungen. Während für die Kinder die besten Bedingungen geschaffen werden, stehen die Eltern mit ihren Schuldgefühlen, Wut, Trauer, Scham oder dem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, in der Regel alleine da.

 

In den Besuchszeiten sehen sie ihre Kinder in dem für sie so fremden Umfeld, ein Miteinander fällt schwer. So ist die Schutzhaltung von Eltern und Kindern oft ein Nebeneinander oder eine Übergriffigkeit von Eltern und Kindern. Diese allzu verständlichen Formen von emotionaler Hilflosigkeit sind in dieser Situation nachzuvollziehen. Ist es möglich, unter diesen Vorrausetzungen den Besuchskontakt so zu begleiten, dass er langfristig zu einer Freude bereitenden Elternschaft führt?

 

Nach zwei Jahren STEEP-Beratung kann ich positive Bilanz ziehen. Neben dem äußeren Rahmen - einem neutralen Raum auf dem Gelände der Einrichtung - hat es sich als hilfreich erwiesen, der Besuchszeit mit kleinen Ritualen eine Struktur zu geben, die für Eltern und Kinder einen sicheren Rahmen bieten. So gibt es ein Anfangs- und ein Abschiedsritual. Wichtig ist auch eine kleine Mahlzeit, die wir gemeinsam einnehmen. Nach Absprache mit den Eltern wird eine  Situation gefilmt, die dann im Anschluss an die Besuchszeit gemeinsam betrachtet wird. Dies kann ein  gemeinsames Händewaschen, ein Rollenspiel, eine Mahlzeit, die Begrüßung oder die Verabschiedung sein. Hintergrund und Sinn  hierbei ist, dass die Eltern die Signale ihres Kindes wahrnehmen, verstehen und prompt darauf reagieren. Aufgrund ihrer eigenen belastenden Biographie nehmen die Eltern in der Regel  die Signale ihres Kindes primär unter dem Blickwinkel ihrer eigenen Bedürfnisse, Aktivitäten und Stimmungen wahr. Die Reaktionen der Eltern auf die zumeist zu starken oder zu schwachen Signale der Kinder sind oft unangemessen, zeitverzögert oder unvollständig.

 

Ich will an einem praktischen Beispiel beschreiben, wie sich durch das gemeinsame Betrachten der Videoaufnahme und dem begleitendem Gespräch die Besuchssituation für Mutter und Kind positiv verändert hat.

 

Während der STEEP-Beratung ließ sich Frau M. mit ihrer dreijährigen Tochter beim gemeinsamen Spiel filmen. Beim anschließenden Anschauen des Videos war die erste Wahrnehmung der Mutter, dass es ein Spiel nebeneinander sei, so als würde man sich nicht kennen. Die Mutter und ich haben den sogenannten ,,magischen Moment“ in der Aufnahme gefunden. In diesem Fall war es ein einziger kurzer lächelnder Blickkontakt zwischen Mutter und Tochter.


Gemeinsam haben wir in Zeitlupe nachvollziehen können wie es zu der für diese Besuchssituation einmaligen Begegnung kam. Die Tochter hat die Mutter gezählte zwanzig Sekunden angeschaut ohne zu sprechen, während die Mutter beschäftigt war. Ein kurzes Aufblicken der Mutter brachte diesen Moment der Begegnung zustande. Frau M. war sehr froh über diese gemeinsame Freude des Augenblicks. Sie  hat das Signal ihrer Tochter wahrgenommen. Sie war gerührt über die lange Zeit, die ihre Tochter sie angeschaut hat, ohne dass sie es bemerkt hat. Und sie hat so das kleine Glück einer echten Begegnung erfahren, die nicht durch die schon genannten Bedingungen verhindert wurde.

 

In einer stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung ist die Besuchsstunde die einzige Zeit, die den Eltern mit ihren Kindern zur Verfügung steht. Im Anschluss findet das Gespräch mit der STEEP-Beraterin statt. Dieses Gespräch orientiert sich ganz an der emotionalen Verfassung der Eltern. Ruhiges zuhören, Mut machen, trösten und immer wieder den Focus auf das Wohlergehen des Kindes richten sind die Schwerpunkte.

 

  • ·         Was haben wir gemacht?
  • ·         Was, denken Sie, fühlt ihr Kind in dieser Situation?
  • ·         Woran sehen Sie das?
  • ·         Was hat zu dieser Situation geführt?
  • ·         Was hat Ihnen geholfen, die Ruhe zu bewahren?
  • ·         Woran  haben Sie gespürt, dass sich etwas verändert?
  • ·         Was kann ein Kind in diesem Alter und was nicht?

 

Durch die positiven Erfahrungen, die sie während der Besuchszeit in der Interaktion mit ihren Kindern gemacht haben, soll ihr Gefühl des Versagens und der Schuld abnehmen. So haben die Eltern die Möglichkeit, den Wunsch und die Phantasie für eine Zukunft zu entwickeln, in der sie ihre Kinder begleiten, und die positiven Aspekte einer Fremdunterbringung zu diesem Zeitpunkt nicht nur zu akzeptieren, sondern auch als Entwicklungsmöglichkeit für sich und ihr Kind wahrzunehmen. Der Beratungsbedarf für die Besuchszeit kann dann reduziert oder auch beendet werden.

 

Die eigenen biographischen Erfahrungen der Eltern spielen unbewusst immer eine Rolle im Umgang mit den Kindern. Wenn sich kleine Fenster zur Vergangenheit öffnen, berührt es mich und ich versuche zu verstehen. Wenn mir das Vertrauen entgegengebracht wird, weise ich auf  die Möglichkeit hin, fachliche Behandlungen in Anspruch zu nehmen.

 

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit STEEP auch schwierige Bindungsprozesse neu strukturieren und den Eltern ihre individuellen Ressourcen zugänglich machen kann. Das stärkt das Selbstbewusstsein der Eltern und erhöht die Chancen der Kinder, trotz der widrigen, belastenden Lebensumstände psychisch zu gesunden und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln.